Interview mit Andrea Hüsser, Geschäftsleiterin von Good Chocolate Hub.
Was ist die Entstehungsgeschichte von Good Chocolate Hub?
In der zweiten Hälfte der 10er-Jahre traten in der Schweiz erste neu gegründete Schokolade-Initiativen und Bean-to-Bar-Chocolate-Makers in die Öffentlichkeit. Das geschah im Licht der langjährigen Erfahrung der Pioniere des fairen Handels und der Arbeit von NGOs und Forschungsinstitutionen zu nachhaltigerer Schokoladeproduktion. Auch ich und meine Kollegin Anja Glover – Tochter von Yayrator Glover, einem Bio-Kakaopionier in Ghana – beschäftigten uns schon viele Jahre mit den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Missständen in der Kakaolieferkette. Mit der Gründung von Good Chocolate Hub wollten wir all diesen neuen Entwicklungen und Gegebenheiten auf dem Schokolademarkt ein Gesicht geben und eine Brücke schlagen zu den Konsument:innen und Bürger:innen. Zuerst planten wir, das ausschliesslich in Form eines Schoggifestivals zu tun, doch nach der coronabedingten Absage des ersten Festivals haben wir unsere Initiative «Schoggifestival ehrundredlich» weiterentwickelt. Good Chocolate Hub geht nun über eine einmalige Veranstaltung hinaus, wobei der Name «Hub» für Verbindung steht: Zwischen der Kakao-Produktion und dem Schokolade-Konsum, zwischen Genuss und verantwortungsvollem Handeln sowie zwischen Nahrung und Politik.
In welchen Bereichen ist Good Chocolate Hub konkret tätig?
Die Organisation des «Schoggifestival ehrundredlich», das einmal pro Jahr stattfindet, ist das Herzstück unserer Tätigkeit. Ein weiteres Standbein sind Events mit Schokolade-Degustationen kombiniert mit Informationsvermittlung. Dabei geht es darum, beim Schokoladeessen ein vielfältiges Aromen-Bouquet wahrzunehmen – wie bei einer Weindegustation – und dabei in die Geschichte des Kakaos eintauchen zu können, der in eben dieser Schokolade steckt. Wir führen aber auch Workshops an Schulen und in Organisationen durch. Dort behandeln wir am Beispiel von Schokolade die komplexen Zusammenhänge in den Ernährungssystemen, und darauf aufbauend Themen wie Menschenrechte, konfliktive Lieferketten, Kolonialismus und Rassismus. Wir zeigen also politische Zusammenhänge zwischen Konsum und Produktion auf, sprechen über Konsumverantwortung sowie Initiativen und Möglichkeiten, wie sich Bürgerinnen und Bürger für positive Veränderungen einsetzen können.
Was ist die Idee hinter dem «Schoggifestival ehrundredlich» und was dürfen Besucherinnen und Besucher 2023 erwarten?
Das Schoggifestival findet dieses Jahr im Kulturareal der Mühle Tiefenbrunnen statt, es zeigt eine neue Generation der Kakao- und Schokoladeherstellerinnen und -hersteller, NGOs und Forschungsinstitute und verbindet Genuss mit verantwortungsvollem Handeln. Die Besucher:innen sollen am Festival herausfinden können, woher der Kakao in der Schokolade kommt, wer die feinste Schoggi daraus macht, warum es dringend Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit braucht und wie sie ihren Konsum kritisch hinterfragen können. Dabei können sie durch den Markt schlendern, neue Schoggi und Kakaoprodukte kennenlernen und kaufen, und an Workshops, Podien und Vorträgen zu Schokolade-Aromen, Bean-to-Bar, Geografie der Schokolade, Rassismus oder Kinderarbeit teilnehmen. Es gibt auch Kinderbuchlesungen, Osterhasengiessen und die Möglichkeit, Schoggisalami herzustellen.
Welches Wissen sollte eurer Ansicht nach jede Person beim Kauf einer Schokolade haben?
Ein informiert gefällter Konsumentscheid bedingt Wissen über die Zutaten, deren Auswirkungen auf die eigene Gesundheit und die Umwelt sowie über die Menschen und die Politik hinter dem Produkt – und man sollte diese so einordnen können, damit allem gerecht werden kann. Es ist aber heute fast unmöglich, in jeder Hinsicht konsequent gesund, ökologisch und sozial nachhaltig zu konsumieren, denn das Angebot ist voll von Widersprüchen. An dieser Stelle möchten wir die Menschen motivieren, ihre fünf Sinne zu aktivieren, um Entscheidungen zu treffen – zum Beispiel Kakaobohnen schälen und mahlen, Schokoladeoberflächen beurteilen, Aromen riechen, Kakaobohnen oder Schokolade degustieren, den Biss hören. Möglicherweise können so Entscheide beim Kauf von Schokolade, die im Interesse der Gesellschaft und der Umwelt liegen, nicht nur kognitiv, sondern wortwörtlich übers „Bauchgefühl“ getroffen werden. Wichtig ist uns aber auch zu vermitteln, dass bewusster Schokoladekonsum allein die strukturellen Probleme nicht lösen kann. Es braucht auch ein politisches Engagement der Menschen. Dazu gehört beispielsweise Kampagnen, Petitionen oder Gesetzesvorlagen zu unterstützen, sich gegen Foodwaste einzusetzen, bei solidarischen Landwirtschaftsprojekten mitzumachen oder beim Wählen und Abstimmen die Haltung zu Konsum, Ökologie und Menschenrechten berücksichtigen.
Was erhofft sich Good Chocolate Hub von der Mitgliedschaft bei der Kakaoplattform? Und in welchen Bereichen plant ihr, euch aktiv zu involvieren?
Wir freuen uns vor allem auf eine engere Zusammenarbeit mit den kleinen Schokolade-Firmen und NGOs, aber auch auf die breitere Vernetzung mit anderen Mitgliedern und das Kennenlernen ihrer Aktivitäten und Erfahrungen. Auch sind wir froh über den Zugang zu weiterem Wissen über die Lieferketten und verschiedenen Perspektiven auf die damit verbundenen Herausforderungen. Innerhalb der Plattform möchten wir die Stimme der NGOs stärken, und speziell interessant erscheint mir persönlich die Arbeitsgruppe zu Traceability und Transparency. Ich bin aber gespannt auf alle Bereiche.
Wo seht ihr euer grösstes Potenzial, einen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Kakaoplattform zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in der Kakao-Wertschöpfungskette zu leisten?
Das grösste Potenzial für einen Beitrag von unserer Seite sehen wir in der Umsetzung des SDG-Ziels Nummer 12: Verantwortung in Konsum und Produktion. Mit unseren Tätigkeiten möchten wir die Brücke schlagen zu den Konsument:innen und Bürger:innen, damit sie Schokolade von verschiedenen Seiten kennenlernen und dadurch nachhaltigere Schokoladeproduktion bewusst unterstützen. Wir sehen uns aber auch als kritische Stimme, die wir als wichtig erachten, wenn wir die Nachhaltigkeit in der Kakao-Wertschöpfungskette tatsächlich verbessern wollen.